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Nachteilsausgleich nach Bauablaufstörung: Von Hürden und Fragwürdigkeiten

Ein Auftragnehmer trägt seinen Anspruch aus gestörtem Bauablauf unter Berufung auf § 642 BGB (Entschädigung) unschlüssig vor, wenn nichts zum anderweitigen Erwerb i. S. d. § 642 Abs. 2 BGB gesagt wird. Dazu wären die während der Zeit des Annahmeverzugs nachweislich tatsächlich bereitgehaltenen Produktionsmittel (Personal, Gerät, Kapital) bis zu deren anderweitigem Einsatz/Erwerb (jeder Erwerb) und maximal für die Dauer des Verzugs vorzutragen. Diesen zuzuordnen wäre jener Umsatz im Sinne "vereinbarte Vergütung" (§ 642 Abs. 2 BGB), den der Auftragnehmer ohne das den Entschädigungsanspruch auslösende Ereignis erzielt hätte.

Das tatsächliche Bereithalten (der Produktionsmittel) in der Leistungsbereitschaft ist daran wichtig. Es bedient richtigerweise das Kriterium "anderweitiger Erwerb". Indem laut BGH in "Entschädigungshöhe" vom 30.01.2020 (VII ZR 33/19, NZBau 2020, 362 ) aber der durch einen Annahmeverzug frei gewordenen Produktionsmittel erzielte Umsatz aus jedem anderen Füllauftrag angerechnet werden soll, ohne den Zusammenhang

für Füllauftrag ist Behinderung aus Annahmeverzug kausal
als Bedingung zu fordern, wird das Kriterium überspannt. Ohne tiefergehende Begründung sagt der BGH schlicht: Das Kriterium des anderweitigen Erwerbs sei im Rahmen von § 642 Abs. 2 BGB eigenständig und nicht in Anlehnung an § 648 Satz 2 BGB auszulegen. Ob die anderweitige Einsatzmöglichkeit auf einem "echten Füllauftrag" beruht, also auf einem Auftrag, der nur infolge des Annahmeverzugs angenommen und ausgeführt werden kann, sei ohne Bedeutung; BGH "Entschädigungshöhe", NZBau 2020, 362, Rn. 57.

Wäre der These des BGH zu folgen, würde hingenommen, dass der Auftragnehmer unter Umständen Auslastung seiner an anderer Stelle verdrängten Produktionsmittel, der sozusagen "angezapften" Stelle seines Unternehmens, verliert und dort Leerlaufkosten entstehen, die er ohne den Annahmeverzug hier nicht gehabt hätte.

Die Kausalität, ein eherner Leitgedanke im deutschen Rechtsverständnis, wird so übergangen.

Wo bleibt Recht?

Dahinter mögen pragmatische (keine rechtlichen!) Erwägungen stehen wie etwa: Wenn Entschädigung aus § 642 BGB im gestörten Bauablauf eben nur (!) Entschädigung sein und bei weitem nicht alle Nachteile des Auftragnehmers ausgleichen soll und der "Tatrichter" über den -- mehr oder weniger -- breiten Daumen schätzen dürfen soll und die Sache ohne aufwendiges Nachweisprozedere abwickeln können soll, dann mag ein Nachweis der Echtheit eines Füllauftrages wohl zu weit gehen.

Wie auch immer: Der Auftragnehmer hat das Nachsehen.

Das gilt auch und besonders im Fall von Nachteilen, die auf Verzögerungen eines Vorunternehmers zurückgehen: Aus Mangel an Verschulden des Auftraggebers kein Schadensersatz, aber -- immerhin -- Entschädigung. Ein Anspruch, in dem die Nachteile des Auftragnehmers durch Auslegung des § 642 BGB in der Rechtsprechung recht stark einschränkend "entschädigt" werden.

Und das allzu oft und ohne geeignete Dokumentation auch nur theoretisch! Die Nachweise sind dem Auftragnehmer nicht etwa leichter geworden.

Jene, die daran die Lust verlieren, haben mein Verständnis. Andere meine Unterstützung.

Unterstützung etwa im komplex gestörten Bauablauf mit einer Auseinandersetzung der -- im Ergebnis erfüllbaren! -- Anforderungen an eine konkret bauablaufbezogene Darstellung im Konzept "Bauzeitnachtrag 2.0"?

Die 4. Auflage von "Nachträge und Nachtragsprüfung" erscheint in der Druckfassung beim Werner Verlag voraussichtlich Mitte Oktober des laufenden Jahres.



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 17.01.2022 um 09:17 Uhr)

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