Immobilien- und Mietrecht.

Volltexturteile nach Sachgebieten
16171 Entscheidungen insgesamt
Online seit 2022
IMRRS 2022, 1338
BFH, Beschluss vom 25.08.2022 - X B 96/21
1. Bei natürlichen Personen erfordert die ordnungsgemäße Klageerhebung regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift.*)
2. Stellt das Gericht an die vom Kläger angegebene Adresse erfolgreich förmlich zu, kann es nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen, dass insoweit keine ladungsfähige Anschrift vorliegt.*)
3. Begründet das Finanzgericht ein Prozessurteil hilfsweise auch in der Sache, führt allein die Darlegung, das Finanzgericht habe zu Unrecht ein Prozessurteil statt ein Sachurteil erlassen, noch nicht zum Erfolg einer solchen Verfahrensrüge. Vielmehr muss die Beschwerdebegründung sich dann auch auf die materiell-rechtliche Hilfsbegründung des Urteils beziehen.*)

IMRRS 2022, 1333

LG Frankfurt/Main, Urteil vom 06.10.2022 - 2-13 S 95/21
1. Gibt die Klägerin ohne nachvollziehbaren Grund ihre Anschrift nicht an, sondern beschränkt sich auf die Angabe eines Dienstleistungsunternehmens, welches Post an sie weiterleitet, ist die Klage unzulässig.*)
2. Der Verlust der Prozessführungsbefugnis in Störungsabwehrklagen, die vor dem 01.12.2020 erhoben worden sind, durch eine Erklärung des Verwalters über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.*)

IMRRS 2022, 1335

BGH, Urteil vom 22.09.2022 - VII ZR 786/21
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden.
2. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war.
3. Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung im Innenverhältnis des Mandanten zum Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, bestimmt sich nach Art und Umfang des im Einzelfall erteilten Mandats.
4. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr.
5. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen.

IMRRS 2022, 1327

BGH, Beschluss vom 01.08.2022 - VII ZR 62/22
1. Wer Partei eines Zivilrechtsstreits ist, ergibt sich aus der in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung, die als Teil einer Prozesshandlung grundsätzlich der Auslegung zugänglich ist. Maßgebend ist, welcher Sinn dieser prozessualen Erklärung aus der Sicht der Empfänger (Gericht und Prozessgegner) beizulegen ist.
2. Bei objektiv unrichtiger oder mehrdeutiger Bezeichnung ist grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die erkennbar durch die fehlerhafte Parteibezeichnung betroffen werden soll.
3. Die von einer Klagepartei gewählte Beklagtenbezeichnung "Bruchteilsgemeinschaft" ist angesichts der fehlenden Rechtsfähigkeit und der fehlenden Parteifähigkeit von Bruchteilsgemeinschaften regelmäßig dahin auszulegen, dass die einzelnen Bruchteilseigentümer verklagt werden sollen.

IMRRS 2022, 1325

BGH, Urteil vom 25.08.2022 - VII ZR 86/20
1. Ein Kläger, zu dessen Gunsten ein Vorbehaltsurteil gem. § 599 Abs. 1 ZPO ergangen ist, darf in dem sich daran anschließenden Nachverfahren gem. § 600 Abs. 1 ZPO die Klage erweitern (Anschluss an BGH, Urteil vom 16.05.1962 - VIII ZR 48/62, BGHZ 37, 131; RGZ 148, 199).*)
2. In einem solchen Fall ist der Klagegrund für die im Nachverfahren im Wege der Klageerweiterung eingeführten Ansprüche neu zu prüfen. Die Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils gem. § 599 ZPO reicht nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen nur soweit, als mit diesem Urteil über den Klageanspruch entschieden worden ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 02.02.1984 - III ZR 13/83, IBRRS 1984, 0298 = NJW 1985, 496).*)

IMRRS 2022, 1324

BGH, Beschluss vom 29.06.2022 - VII ZB 52/21
1. Das Gericht hat im Wege freier Beweiswürdigung zu klären, ob die Berufung der Partei fristgerecht eingegangen ist. Es hat den Sachverhalt vollständig und ohne Beschränkung auf die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses zu würdigen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 14.02.2017 - XI ZR 283/16, IBRRS 2017, 1375).*)
2. Die Unaufklärbarkeit des rechtzeitigen Eingangs einer formwirksamen Berufungsschrift fällt nicht in den Verantwortungsbereich des Rechtsmittelführers, wenn das Gericht die Akten vernichtet hat, ohne dass die Voraussetzungen hierzu vorgelegen haben.*)
3. Ein Untätigbleiben der Parteien nach Beendigung einer gemäß § 240 ZPO a.F. eingetretenen Unterbrechung des Verfahrens stellt kein Nichtbetreiben des Verfahrens im Sinne des § 204 Abs. 2 BGB dar, wenn das Gericht dem Verfahren von Amts wegen Fortgang geben muss (Bestätigung von BGH, Urteil vom 12.10.1999 - VI ZR 19/99, NJW 2000, 132 = IBRRS 2003, 2155 = IMRRS 2003, 0879).*)

IMRRS 2022, 1703

BSG, Beschluss vom 27.09.2022 - B 7 AS 60/22
1. Die Behandlung von Anträgen auf Terminverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen.
2. Wird eine Terminverlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, muss dieser Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert werden, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert grundsätzlich die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, aus der das Gericht Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit des Betroffenen selbst beurteilen.

IMRRS 2022, 1321

BGH, Beschluss vom 20.09.2022 - XI ZB 14/22
Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes (hier: Berufungsbegründung) über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfordert die Kontrolle, ob sich die erhaltene automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auf die Datei mit dem betreffenden Schriftsatz bezieht.*)

IMRRS 2022, 1313

OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.09.2022 - 2 W 47/22
1. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn die Ehegattin oder feste Partnerin des abgelehnten Richters bei einer Partei des Rechtsstreits beschäftigt ist und bei vernünftiger Betrachtungsweise aus Sicht des ablehnenden Klägers die Befürchtung besteht, dass sie sich aufgrund ihrer gehobenen beruflichen Tätigkeit in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens identifiziert, deshalb bei Rechtsstreitigkeiten von herausragender Bedeutung für das Unternehmen dessen Position einnimmt oder sich mit diesem solidarisiert, dies auch ihrem Ehegatten - dem abgelehnten Richter - vermittelt und aufgrund der besonderen Nähebeziehung des Paares dessen Meinungsbildung zugunsten der Partei bewusst oder unbewusst beeinflusst, sodass die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Richters nicht mehr gewährleistet ist.*)
2. Ist oder war die Ehefrau bzw. feste Partnerin eines Richters bei einer Partei beschäftigt, hat der Richter dies den Parteien des Rechtsstreits vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung anzuzeigen.*)

IMRRS 2022, 0864

KG, Beschluss vom 25.05.2022 - 7 W 3/22
Die Frage nach den erforderlichen Mängelbeseitigungsarbeiten ist nach § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO im selbständigen Beweisverfahren zulässig. Dies gilt auch für die weitergehenden Fragen nach dem hierfür erforderlichen Zeitaufwand und den für die Bewohner einhergehenden Beeinträchtigungen.

IMRRS 2022, 1311

BGH, Urteil vom 16.09.2022 - V ZR 180/21
1. Hat die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Verwalter, so wird sie bei einer gegen einzelne Wohnungseigentümer gerichteten Klage durch die übrigen Wohnungseigentümer gemeinschaftlich vertreten. Verbleibt nur ein Wohnungseigentümer, der keinem Vertretungsverbot unterliegt, vertritt er den klagenden Verband allein (Fortführung von Senat, Urteil vom 08.07.2022 - V ZR 202/21, IMR 2022, 421).*)
2. In einer verwalterlosen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bedarf die Erhebung einer gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer gerichteten Klage auf anteilige Zahlung einer beschlossenen Sonderumlage keiner auf die Klageerhebung bezogenen Beschlussfassung.*)
3. Erhebt der Verwalter im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Klage gegen einzelne Wohnungseigentümer, sind Beschränkungen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis, die die Befugnis zur Klageerhebung betreffen, jedenfalls im Grundsatz nicht zu überprüfen.*)
IMRRS 2022, 1304

BGH, Beschluss vom 06.09.2022 - VIII ZR 352/21
Zur Verletzung des Anspruchs der Partei auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit Vortrag zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung zur Nacherfüllung wegen Fehlschlagens der Nachbesserung sowie wegen Unzumutbarkeit (weiterer) Nacherfüllungsversuche (hier: unberücksichtigt gebliebener Vortrag des Käufers zu trotz Reparaturversuchen fortbestehenden Mangelsymptomen und zur Sicherheitsrelevanz der als Sachmangel geltend gemachten Funktionsstörung).*)

IMRRS 2022, 1145

AG Berlin-Mitte, Urteil vom 19.04.2022 - 22 C 36/21 WEG
1. Eine Klage gegen "die übrigen Eigentümer der WEG ..." richtet sich gegen die übrigen Eigentümer und nicht gegen den Verband. Eine Rubrumsberichtigung ist daher nicht möglich, es bedarf vielmehr einer Klageänderung.
2. Nur bei einer Klageänderung innerhalb der Anfechtungsfrist kann die Beschlussanfechtungsklage die Frist wahren.

IMRRS 2022, 1299

BGH, Beschluss vom 07.09.2022 - XII ZB 215/22
Die einfache Signatur i.S.d. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Nicht genügend ist das Wort "Rechtsanwalt" ohne Namensangabe (im Anschluss an BAG, IBR 2021, 56, und BSG, Beschluss vom 16.02.2022 - B 5 R 198/21 B, IBRRS 2022, 1059 = IMRRS 2022, 0401).*)
IMRRS 2022, 1286

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.09.2022 - 12 S 1365/22
1. Seit Inkrafttreten des mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügten § 55d VwGO am 01.01.2022 ist eine postalische Weiterleitung einer anwaltlichen Beschwerdebegründung nicht mehr geeignet, eine Beschwerdebegründung i.S.v. § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO zu bewirken.*)
2. Eine elektronische Weiterleitung eines bei dem Verwaltungsgericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingegangenen, an dieses Gericht adressierten Schriftsatzes entspricht zumindest hinsichtlich solcher Akten, die bei dem Verwaltungsgericht noch als Papierakten geführt wurden, in Baden-Württemberg nicht dem ordentlichen Geschäftsgang des Verwaltungsgerichts.*)

IMRRS 2022, 1243

BayObLG, Beschluss vom 12.09.2022 - 101 AR 67/22
1. Bei der Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung streitet im rein inländischen Kontext weder für die Annahme eines ausschließlichen noch für die eines nur besonderen Gerichtsstands eine Vermutung. Ob die Zuständigkeit als ausschließliche gemeint ist, muss vielmehr anhand der näheren Umstände und der Interessenlage der Beteiligten ermittelt werden.
2. Das Fehlen einer die Ausschließlichkeit ausdrücklich regelnden Formulierung stellt kein Indiz dafür dar, dass die Bestimmung lediglich fakultativer Natur ist. Es ist nicht unüblich, dass die Ausschließlichkeit im Wortlaut von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird, aber gemeint ist.
3. Eine Zuständigkeitsvereinbarung, die für sämtliche Streitigkeiten aus einem Vertrag gelten soll, ist dahin auszulegen, dass sie neben den vertraglichen Ansprüchen auch die damit konkurrierenden deliktischen Ansprüche in den Grenzen des Streitgegenstands umfassen soll.

IMRRS 2022, 1280

BGH, Beschluss vom 06.09.2022 - VIII ZB 24/21
Zu den Pflichten des Rechtsmittelgerichts, wenn das Vorbringen zur Begründung eines - auf eine unvorhergesehene Erkrankung des Rechtsanwalts gestützten - Wiedereinsetzungsantrags eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen das Fristversäumnis beruht, nicht enthält (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 02.08.2022 - VIII ZB 3/21, IBRRS 2022, 2702).*)

IMRRS 2022, 1258

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18.08.2022 - 3 LB 5/22
1. Ein Fehlverhalten unselbstständig handelnder Hilfspersonen des Prozessbevollmächtigten kann sich dann zum Nachteil für die Partei auswirken, wenn dem Prozessbevollmächtigten insoweit ein Organisationsverschulden zur Last fällt, das sich die vertretene Person wiederum über § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO als eigenes Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen muss.*)
2. Zu den Fristen, deren Erfassung und Kontrolle ein Prozessbevollmächtigter nicht seinem Büropersonal überlassen darf, zählt auch die Berufungsbegründungsfrist im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 VwGO.*)

IMRRS 2022, 1257

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.08.2022 - 28 W 1/22
1. Zu den erstattungsfähigen "Kosten des Rechtsstreits" zählen die Kosten des außergerichtlichen Vergleichs nur dann, wenn die Parteien dies auch ausdrücklich oder konkludent vereinbart haben.
2. Die Kosten eines abgeschlossenen Vergleichs gelten bei einem Prozessvergleich als gegeneinander aufgehoben, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Für den außergerichtlichen Vergleich gilt dies jedenfalls dann entsprechend, wenn dieser zur Prozessbeendigung geführt hat.

IMRRS 2022, 1260

BGH, Beschluss vom 21.06.2022 - II ZB 3/22
1. Wer in einer Zivilsache eine Berufungsbegründungsfrist um länger als einen Monat verlängern will, benötigt dafür unbedingt die Einwilligung des Prozessgegners. Liegt diese bei Fristablauf nicht vor, kann die Verlängerung nicht bewilligt werden - auch nicht um eine Woche, um dem Gegner Zeit zur Stellungnahme zu geben.
2. Das Vertrauen in eine anderslautende Behauptung der eigenen Angestellten oder eine Auskunft der Geschäftsstelle ist nicht schutzwürdig.

IMRRS 2022, 1104

LG München I, Urteil vom 13.07.2022 - 1 S 2338/22 WEG
1. Ist eine Position der Jahresabrechnung - hier Heizkosten - fehlerhaft, ist nunmehr die gesamte Jahresabrechnung für ungültig zu erklären.
2. Der Streitwert für die Anfechtung des Abrechnungsbeschlusses bemisst sich nach dem Wert der im Streit stehenden Positionen.
3. Eine Anfechtungsklage gegen die übrigen Eigentümer ist als Klage gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft auszulegen.
4. Für einen Beschluss über eine erhebliche Baumaßnahme sind Alternativangebote erforderlich. Eine Umrüstung einer Ölheizung auf eine Gasheizung kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden.
IMRRS 2022, 1242

OVG Sachsen, Beschluss vom 22.08.2022 - 6 A 122/20
In der mündlichen Verhandlung ist die Vernehmung von Personen, die sich an einem anderen Ort befinden, mittels eines foto- oder videographischen Whats-App-Telefonats über das Mobilfunktelefon eines Beteiligten im Wege des Zeugenbeweises nicht zulässig.*)

IMRRS 2022, 1246

BGH, Beschluss vom 30.08.2022 - VIII ZR 429/21
1. Verneint ein Gericht das Vorliegen von Härtegründen, ohne dabei ein erhebliches Beweisangebot einer Partei zu berücksichtigen, liegt darin ein Gehörsverstoß.
2. Erscheint die Gefahr einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eines (schwer) erkrankten Mieters durch einen Umzug möglich, muss der Sachverhalt sorgfältig aufgeklärt werden - falls erforderlich durch ein zweites Sachverständigengutachten.

IMRRS 2022, 1236

OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.09.2022 - 23 W 9/21
1. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO, demgemäß ein Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen ist, setzt voraus, dass sich die Partei bei dem abgelehnten Richter in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.*)
2. Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache über ein in der Vorinstanz als unzulässig verworfenes Ablehnungsgesuch ist - falls das Beschwerdegericht eine Besorgnis der Befangenheit für begründet hält - ohne Zurückverweisung möglich, auch wenn das Ablehnungsgesuch zu Unrecht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen wurde und - falls das Beschwerdeverfahren gem. § 568 Satz 2 ZPO auf den Spruchkörper in voller Besetzung übertragen wurde - auch wenn beim Landgericht nicht die Kammer, sondern allein der abgelehnte Einzelrichter selbst entschieden hat.*)
3. Zur Besorgnis der Befangenheit bei einem Richter, der im Ablehnungsverfahren seine dienstliche Äußerung viele Monate später unaufgefordert mit einer Stellungnahme zu einem die Besorgnis seiner Befangenheit in einem Parallelverfahren mit einem gleichgelagerten Befangenheitsgesuch für begründet erklärenden Beschluss ergänzt, dabei eine als Grundlage für die Entscheidung ersichtlich nicht geeignete Tatsache mitteilt und sich zur Ordnungsgemäßheit der Prüfung des beschiedenen Befangenheitsgesuchs äußert.*)

IMRRS 2022, 1234

BGH, Beschluss vom 10.08.2022 - VII ZR 243/19
1. Haften Architekt und Bauunternehmer für einen Mangel dem Besteller als Gesamtschuldner und hat der Bauunternehmer diesen Mangel im Wege der Nacherfüllung beseitigt, hat er gegen den Architekten einen Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich.
2. Sind dem Bauunternehmer im Rahmen der Mangelbeseitigung Kosten durch von ihm beauftragte Drittunternehmer entstanden, kann er diese Kosten - soweit sie objektiv erforderlich waren - anteilig geltend machen. Hinsichtlich der von ihm selbst durchgeführten, erforderlichen Arbeiten kann er einen Wertausgleich verlangen.
3. Zu den Substantiierungsanforderungen an den Vortrag zur Höhe des Anspruchs auf Gesamtschuldnerausgleich.

IMRRS 2022, 1229

OLG Celle, Beschluss vom 15.09.2022 - 24 W 3/22
1. Das Gericht hat die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen, wenn eine Partei an der nach § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil die Übertragung aus ihr nicht zuzurechnenden ungeklärten technischen Gründen nicht zustande kommt.*)
2. Bei der Beurteilung, ob technische Störungen mit unklarer Ursache einer Partei als Verschulden zuzurechnen sind, ist der Normzweck des § 128a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen, nach dem die Nutzung dieser Verfahrensweise nicht derart erschwert werden darf, dass sie für den Verfahrensbeteiligten, der im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen beabsichtigt, riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht.*)

IMRRS 2022, 1225

LG Stuttgart, Beschluss vom 25.03.2021 - 2 T 110/21
Anlässlich der Klagerücknahme durch den Kläger hat es der Beklagte versäumt, die Kostenübernahme ausdrücklich zu erklären. Die Gerichtsgebühren waren daher nicht zu reduzieren.

IMRRS 2022, 1226

BFH, Beschluss vom 02.09.2022 - VI B 5/22
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt keinen Schutz gegen gerichtliche Entscheidungen, die den Vortrag eines Beteiligten in Übereinstimmung mit dem Verfahrensrecht ganz oder teilweise außer Betracht lassen.*)
2. Das Finanzgericht ist nicht verpflichtet, nach einer im Wege der Videokonferenz durchgeführten mündlichen Verhandlung auch für die Urteilsverkündung eine Videokonferenz anzuberaumen.*)

IMRRS 2022, 1208

LG Köln, Beschluss vom 13.06.2022 - 29 T 44/22
Auch nach der WEG-Reform 2020 ist der Streitwert für die Anfechtung des Beschlusses über die Jahresabrechnung grundsätzlich nach dem Gesamtbetrag der abgerechneten Kosten (Abrechnungssumme) zu bemessen, auch wenn der Abrechnungsbeschluss nach neuem Recht formal nur noch über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse befindet.

IMRRS 2022, 1209

BGH, Beschluss vom 24.08.2022 - XII ZB 548/20
Zum Wert des Beschwerdegegenstands im Fall der Klage eines Mieters auf Erteilung einer ordnungsgemäßen Nebenkostenabrechnung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 10.01.2017 - VIII ZR 98/16, IMRRS 2017, 0300 = MDR 2017, 725).*)

IMRRS 2022, 1204

BayObLG, Beschluss vom 12.09.2022 - 101 AR 82/22
Zum Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Bauvertrag (hier verneint).*)

IMRRS 2022, 1199

OLG Dresden, Beschluss vom 14.07.2022 - 4 U 623/22
Im einstweiligen Verfügungsverfahren kann eine erst in der Berufung vorgelegte eidesstattliche Versicherung nicht als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel zurückgewiesen werden.*)

IMRRS 2022, 1194

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.03.2022 - 25 W 10/22
1.Die erstattungsfähige Höhe der Kosten eines eingeholten Privatgutachtens richtet sich danach, was eine verständig und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei für erforderlich halten durfte.
2.Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann für die berechtigte Höhe auf die Regelungen im JVEG abzustellen sein.

IMRRS 2022, 1168

BGH, Beschluss vom 16.08.2022 - VI ZR 1151/20
Zur unzulässigen Beweisantizipation.*)

IMRRS 2022, 1167

AG Köln, Beschluss vom 19.05.2022 - 215 C 61/21
Bei der Anfechtung eines Beschlusses über die Anpassung von Vorschüssen oder die Einforderung von Nachschüssen bestimmt sich das Einzelinteresse des klagenden Eigentümers i.S.d. § 49 Satz 2 GKG nicht nach den insgesamt auf ihn umgelegten Kosten.

IMRRS 2022, 1162

BFH, Beschluss vom 23.08.2022 - VIII S 3/22
Die Erhebung einer Anhörungsrüge durch einen Rechtsanwalt ist ab dem 01.01.2022 unzulässig, wenn sie nicht als elektronisches Dokument in der Form des § 52a FGO an den BFH übermittelt wird. Der Verstoß gegen § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit des Antrags. Er gilt als nicht vorgenommen.*)

IMRRS 2022, 1161

LG Berlin, Beschluss vom 02.08.2022 - 67 S 149/22
Die aus der Verurteilung zur Auskunftserteilung gemäß § 556g Abs. 3 BGB erwachsende materielle Beschwer des Vermieters übersteigt 600,00 EUR grundsätzlich nicht.*)

IMRRS 2022, 1154

OLG Brandenburg, Beschluss vom 18.08.2022 - 12 W 27/22
1. Die Aussetzung eines Zivilverfahrens auch dann ermöglicht, wenn bereits vor dem Zivilverfahren an anderer Stelle der Verdacht einer Straftat besteht und im Hinblick auf diesen ausgesetzt werden soll.
2. Die Aussetzungsentscheidung setzt eine umfassende Ermessensabwägung voraus. Dabei sind die streitigen Umstände, auf die es im Zivilverfahren ankommt und die im Strafverfahren leichter oder einfacher geklärt werden können, so konkret und eingehend darzustellen, dass die Ermessensausübung auf Ermessensfehler überprüft werden kann.

IMRRS 2022, 1129

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.08.2022 - 2 AR 21/22
1. Bei der Abgrenzung der Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 7 Abs. 3 ErbbauRG zur Zuständigkeit eines Spruchkörpers für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten handelt es sich um die wie eine Rechtswegfrage zu behandelnde Frage der Verfahrenszuständigkeit. Hierüber ist in Anwendung von § 17a Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 u. 2 GVG vorab von Amts wegen zu entscheiden.*)
2. Wird stattdessen ein Verweisungsbeschluss auf § 281 Abs. 1 ZPO gestützt und das zugehörige Verfahren gewählt, verbietet sich wegen der grundlegenden Unterschiede insbesondere eine Umdeutung in einen Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 GVG. Hinsichtlich der Verfahrenszuständigkeit tritt keine Bindungswirkung gem. § 17a Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 GVG ein.*)

IMRRS 2022, 1151

BGH, Beschluss vom 10.08.2022 - VII ZR 49/20
1. Eine Partei, die die Abweisung einer Klage oder Widerklage als unbegründet erstrebt, ist beschwert, wenn das Gericht diese nur als derzeit unbegründet abweist.
2. Die für den Rechtsmittelstreitwert maßgebliche Beschwer der Partei richtet sich in diesem Fall indes regelmäßig nicht nach dem vollen Wert der Klageforderung, da sie dann genauso bemessen würde, als ob die Partei zur Zahlung verurteilt worden wäre.
3. Maßgeblich muss vielmehr der nach § 3 ZPO zu bemessende "Minderwert" der nur vorübergehenden statt endgültigen Klageabweisung sein, wobei der "Minderwert" nach den Umständen des Einzelfalls zu schätzen ist.

IMRRS 2022, 1146

BGH, Beschluss vom 26.07.2022 - X ARZ 3/22
1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts ist der zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, wenn die Zuständigkeit zumindest eines an einem Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörpers auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung (hier: § 119a Abs. 1 GVG) beruht und die Entscheidung des Konflikts von deren Reichweite und nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt.*)
2. Hat ein Spruchkörper in einer solchen Konstellation seine Zuständigkeit durch einen den Parteien bekannt gegebenen Beschluss verneint und die Sache dem nach seiner Auffassung zuständigen Spruchkörper zur Übernahme vorgelegt, ist diese Entscheidung entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend.*)

IMRRS 2022, 1097

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 08.08.2022 - 2-13 S 35/22
Für den Streitwert der Anfechtung von Abrechnungsbeschlüssen nach § 28 Abs. 2 WEG n.F. ist weiter die bisherige Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 09.02.2017 - V ZR 188/16, IMR 2017, 342) heranzuziehen, wonach der Nennbetrag der Jahresabrechnung für das Gesamtinteresse und der auf den Kläger entfallende Anteil als Einzelinteresse maßgeblich sind.*)

IMRRS 2022, 1130

BGH, Beschluss vom 02.08.2022 - VIII ZB 3/21
Zu den Pflichten des Rechtsmittelgerichts, wenn es einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17.11.2015 - VI ZB 38/13, WM 2016, 895 Rn. 9 = IBRRS 2015, 3571; vom 18.12.2019 - XII ZB 379/19, NJW-RR 2020, 501 Rn. 13 = IBRRS 2020, 0308; vom 28.04.2020 - VIII ZB 12/19, NJW-RR 2020, 818 Rn. 26 = IBRRS 2020, 1443; vom 26.01.2022 - XII ZB 227/21, FamRZ 2022, 647 Rn. 13 = IBR 2022, 219; jeweils mwN).*)

IMRRS 2022, 1128

OLG Frankfurt, Urteil vom 10.08.2022 - 17 U 144/21
1. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO besteht, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Ein allgemeines Klärungsinteresse des Klägers reicht nicht aus. Erforderlich ist stets, dass der Kläger aus einem Erfolg der Feststellungsklage für sich günstige Rechtsfolgen ableiten kann. Es muss ein Bezug zwischen der begehrten Feststellung und einem konkreten Rechtsschutzbegehren des Klägers bestehen. Die Erstattung von Rechtsgutachten entspricht nicht der von der Zivilprozessordnung vorausgesetzten Funktion der Gerichte.*)
2. Widerruft ein Darlehensnehmer seine auf Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag gerichteten Willenserklärung und erkennt der Darlehensgeber den Widerruf nicht an, besteht regelmäßig kein rechtliches Interesse des Darlehensnehmers an der Feststellung, dass der Darlehensgeber aufgrund des erklärten Widerrufs keinen Anspruch auf Zahlung des Vertragszinses und die vertragsgemäße Tilgung des Darlehens hat, wenn der Darlehensvertrag folgende Regelung enthält: "Der Kreditnehmer kann den Ratenkredit jederzeit ganz oder teilweise zurückzahlen. Eine vertragliche Mindestlaufzeit besteht nicht. Die Darlehensgeberin macht keine Vorfälligkeitsentschädigung geltend."*)

IMRRS 2022, 1127

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.08.2022 - 10 S 2829/21
1. Die Heilung eines Anhörungsmangels wird nicht schon allein dadurch bewirkt, dass dem Betroffenen nachträglich eine vollwertige Äußerungsmöglichkeit gegeben wird. Die Behörde muss sich vielmehr in einem weiteren Schritt auch mit den dabei vorgebrachten Argumenten auseinandersetzen sowie eine Entscheidung darüber treffen und dem Betroffenen mitteilen, ob sie den erlassenen Verwaltungsakt auch unter Berücksichtigung derselben aufrechterhält.*)
2. Die Mindestanforderungen an die Anhörung vor einer Heranziehung als Handlungs- bzw. Verhaltensstörer zur Sanierung einer schädlichen Bodenveränderung sind nicht deswegen geringer, weil ein anderer Sanierungsverantwortlicher in Bezug auf das fragliche Verhalten bereits ausgiebig angehört wurde.*)
3. Eine wirtschaftliche Identität, bei der trotz subjektiver Antragshäufung eine Streitwertaddition nach § 39 Abs. 1 GKG unterbleibt, liegt nicht schon dann vor, wenn sich mehrere Antragsteller gegen ihre gemeinsame Heranziehung als bodenschutzrechtlich sanierungsverantwortliche Handlungs- bzw. Verhaltensstörer wenden.*)

IMRRS 2022, 1126

OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2022 - 1 AR 14/22
1. Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist auf Fälle, in denen mehrere Spruchkörper desselben Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung dieses Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung wie der des § 72a Abs. 1 Nr. 6 GVG abhängt, entsprechend anzuwenden.
2. Die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt einen Rechtsstreit und damit grundsätzlich die Rechtshängigkeit der Streitsache voraus. Das gilt auch und insbesondere im Rahmen der entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Zuständigkeitsstreite im Hinblick auf das Vorliegen einer gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a GVG.
3. Der Begriff der Bausache i.S.d. § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG ist weit auszulegen und erfasst - ungeachtet der typologischen Einordnung des Vertrags als Dienst-, Werk-, Werklieferungs- oder entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag - alle Verträge, durch die sich eine Partei des Vertrags zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten verpflichtet und mindestens ein Vertragspartner als Bauunternehmer, Architekt oder sonst berufsmäßig mit der Planung oder Ausführung von Bauarbeiten befasste Person in dieser Eigenschaft auftritt.
4. Ein Vertrag über die Lieferung und den Einbau eines Treppenlifts in ein Privathaus ist nur dann als Bauvertrag zu qualifizieren, wenn der Treppenlift für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gesamtwerks von wesentlicher Bedeutung ist.

IMRRS 2022, 1125

BGH, Urteil vom 04.08.2022 - III ZR 228/20
Zur Zulässigkeit einer Klageänderung in der Revisionsinstanz in einem sogenannten "Dieselfall" (hier: Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage).*)

IMRRS 2022, 1123

OLG Dresden, Beschluss vom 12.08.2022 - 4 U 583/22
1. Das Gericht ist verpflichtet, sich mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt.
2. Legt eine Partei ein Privatgutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.
3. Die fehlende Auseinandersetzung im angefochtenen Urteil mit einem dem Gerichtsgutachten widersprechenden Privatgutachten kann in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden, wenn das Gerichtsgutachten hierfür ausreichenden Anhalt bietet; einer Wiederholung der Beweisaufnahme bedarf es dann nicht.*)

IMRRS 2022, 1120

OLG Braunschweig, Beschluss vom 05.07.2022 - 4 EK 1/21
1. Erhebliche über die bloße Prozesswirtschaftlichkeit hinausreichende Wertungsgesichtspunkte können im Einzelfall in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO die Aussetzung eines beim Oberlandesgericht anhängigen erstinstanzlichen Entschädigungsverfahrens i.S.d. § 198 GVG rechtfertigen.*)
2. Eine im pflichtgemäßen Ermessen zu treffende Aussetzungsentscheidung kann geboten sein, wenn das Gericht andernfalls dazu angehalten wäre, "sehenden Auges" das Verfahren eines Klägers zu einem identischen Verfahrenskomplex mit identischen Rechtsfragen zeitlich vor einer erwartungsgemäß absehbaren höchstrichterlichen Klärung jener Rechtsfragen, die sich entscheidungserheblich gleichermaßen im auszusetzenden Verfahren wie auch in dem in Bezug genommenen Revisionsverfahren des identischen Klägers stellen, kurzsichtig in der Vorinstanz zu zementieren. Auf diese Weise beraubte sich das Gericht selbst der Möglichkeit - im redlichen Bemühen um die ihm anvertraute Herstellung des Rechtsfriedens und im Respekt vor einer höchstrichterlichen Klärung - die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Die Aussetzungsentscheidung dient deshalb auch aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes letztlich dem wohlverstandenen eigenen Interesse der Parteien.*)

IMRRS 2022, 1124

OLG Dresden, Urteil vom 07.12.2021 - 4 U 561/21
Hat es das erstinstanzliche Gericht versäumt, in seinen Entscheidungsgründen auf die Widersprüche zwischen einem gerichtlichen Sachverständigengutachten und einem Privatgutachten einzugehen, kann diese Würdigung auf der Grundlage der Gerichtsakten durch das Berufungsgericht nachgeholt werden. Lassen sich hierdurch die Widersprüche ausräumen, bedarf es einer weiteren Beweiserhebung nicht.*)
